
Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik, Erzieherin
In privaten Gesprächen, bei Vorstellungsgesprächen und so weiter stoße ich immer wieder auf die gleichen Vorstellungen, was ich da studiert habe. Das Studienfach lautet Erziehungswissenschaft. Eigentlich müsste spätestens beim Lesen meines Schwerpunktes „Lebenslanges Lernen und Medienbildung“ klar sein, dass ich weder eine Erzieherin bin noch eine Sozialarbeiterin oder -pädagogin. Doch scheinbar ist dem nicht so.
Wieso ist eine Erziehungswissenschaftlerin keine Erzieherin?
Der Universitätsstudiengang Erziehungswissenschaft beschäftigt sich mit der Erziehung und Bildung von Menschen in unterschiedlichen Bereichen und verschiedenen Kontexten. Erziehung und Bildung geschieht ständig. Wir lernen und lehren ständig, werden bereits als Kinder sozialisiert, können uns aber auch als Erwachsene an verschiedene Gegebenheiten anpassen und uns im Grunde bis zum Tod weiterentwickeln.
Zu den Grundlagen des Studiums gehört die Entwicklungspsychologie. Wobei zwar auch die Kindheits- und Jugendphasen untersucht werden, aber ebenso die Entwicklung von Erwachsenen. Eine Erzieherin hingegen erhält eine praxisorientierte Ausbildung, die speziell darauf abzielt, Kinder im Alter von etwa 0 bis 6 Jahren in ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Während Erziehungswissenschaft sehr viel Theorie rund um Bildung und Entwicklung beinhaltet, vermittelt die Erzieherausbildung praktische Fähigkeiten in der Kinderbetreuung und -förderung. Zum Beispiel das Planen und Durchführen von pädagogischen Aktivitäten, das Fördern sozialer Kompetenzen, die Unterstützung der Entwicklung neines Kindes sowie die Zusammenarbeit mit Eltern. Das Wissen ist stärker auf die unmittelbare pädagogische Praxis und den Alltag im Kindergarten ausgerichtet.

Ebenso zur Erziehungswissenschaft gehören Erkenntnisse und Theorien aus der Soziologie, Bildungspolitik und -philosophie. Studierende erwerben analytische Fähigkeiten und lernen, Bildung aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu betrachten. Das Studium umfasst außerdem Forschungsmethoden. Das ermöglicht den Absolvent*innen, empirische Studien durchzuführen und Bildungssysteme oder -prozesse zu analysieren.
Kurz: Erziehungswissenschaftler*innen sind viel theoretischer aufgestellt und weniger auf den Punkt ausgebildet, um Kinder zu fördern.
Das heißt natürlich nicht, dass sich jemand vieles aneignen kann oder keine Empathie hat, was zu den notwendigen Softskills gehört. Es ist nur einfach so, dass die Ausbildung bzw. das Studium zwei verschiedene Paar Schuhe sind, die vielleicht in einigen Merkmalen übereinstimmen.
Was unterscheidet die Erziehungswissenschaft von der Sozialpädagogik?
Erziehungswissenschaft: Studium an einer Universität
Sozialpädagogik: Studium an einer Fachhochschule
Schade, dass es sich immer noch nicht herumgesprochen hat: Ein Studium an einer Uni ist viel theorie- und forschungslastiger als ein Studium an einer FH. Das ist schon der erste wichtige Unterschied, den man auch oft in der Berufspraxis bei Anfängern feststellt. Viele Berufsanfänger, die eine FH besucht haben, sind schneller „einsatzbereit“. Viele (nein, lange nicht alle!) Universitätsabsolventen benötigen dagegen erst einmal eine Art Eingewöhnungszeit und viel Erklärung. Außer natürlich, es geht um Forschung. Dann haben die Uni-Abgänger die Nase vorne.
Erziehungswissenschaft und Sozialpädagogik sind beide akademische Disziplinen, die sich mit Bildung, Erziehung und sozialen Prozessen beschäftigen. Aber sie haben unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen.
Die Erziehungswissenschaft ist stärker analytisch ausgerichtet, sie befasst sich mit allgemeinen Bildungs- und Erziehungsprozessen in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten. Erziehungswissenschaftler*innen untersuchen Bildungssysteme und entwickeln Bildungs- und Erziehungstheorien. Sie führen empirische Forschungsarbeiten durch, um Bildungsprozesse zu verstehen und zu verbessern. Es handelt sich um eine breite Disziplin, die Erkenntnisse aus verschiedenen Fachbereichen wie Psychologie, Soziologie, Philosophie und Geschichte nutzt.
Sozialpädagogik ist stärker praxisorientiert. Sie konzentriert sich auf die Unterstützung und Förderung von Menschen in schwierigen Lebenslagen. Sozialpädagog*innen arbeiten direkt mit Menschen (auch ganzen Familien), die besondere soziale Unterstützung benötigen. Die Sozialpädagogik kombiniert erzieherische Ansätze mit sozialen Maßnahmen, um Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen und ihre soziale Integration zu fördern.
Warum wird Erziehungswissenschaft oft mit Sozialpädagogik gleichgesetzt?
Es gibt bei der Erziehungswissenschaft Schwerpunkte wie zum Beispiel die Sonderpädagogik, die den Inhalten eines sozialpädagogischen Studiums mehr ähneln. Aber es gibt auch Schwerpunkte, wie zum Beispiel mein Schwerpunkt Lebenslanges Lernen und Medienbildung, die weiter davon entfernt sind.
Aneignen kann man sich natürlich vieles, aber einfach mal vorauszusetzen, dass ein Mensch, der Erziehungswissenschaft studiert hat, alle möglichen Gesetze rund um die Inobhutnahme von Kindern etc. kennt, obwohl nicht einmal Schwerpunkt oder Beifach (bei einem Zwei-Fach-Bachelor) darauf hindeuten, ist einfach nur… gar nicht informiert.
Warum trotzem eine Erziehungswissenschaftlerin in sozialpädagogischen Kontexten arbeiten kann? Nun, einmal durch den Schwerpunkt. Genauso kann es auch an der Praxiserfahrung liegen, die jemand während des Studiums gesammelt hat. Es gibt ja einige Überschneidungen bei den theoretischen Kompetenzen. Ebenso natürlich auch am Interesse, an…
Ach, halt! Das interessiert bei Stellenausschreibungen ja alles nicht wirklich, oder? Immerhin könnte ich mit einem anderen Studienabschluss ja auch nicht einfach so als Sozialpädagogische Kraft arbeiten, oder?
Das ist vermutlich der wichtigste Grund dabei: Es gibt in vielen Bereichen der sozialen Arbeit, insbesondere in der Kinder- und Jugendhilfe, einen hohen Bedarf an Fachkräften.
(Dass diese Fachkräfte regelrecht ausgenutzt, überlastet und im Grunde völlig unterbezahlt werden, was zum Mangel beiträgt, ist für Politik und Arbeitgeber nicht einmal zweitrangig. Notfalls müssen mehr Abschlüsse gleichgesetzt werden oder Fachkräfte aus dem Ausland kommen… Sorry, so viele wie ich während meiner Reha-Aufenthalte kennenlernte, herrscht da meiner Meinung nach kein echter Fachkräftemangel. Eher ein Mangel an weiterem Humankapital zum Verheizen.)
Da Sozialpädagogik und Erziehungswissenschaft in einigen Bereichen ähnliche Qualifikationen vermitteln, werden Erziehungswissenschaftlerinnen oft als geeignete Kandidatinnen angesehen, um diese Lücken zu füllen.
Mehr über das Studium der Erziehungswissenschaft kannst du auf der Seite meiner ehemaligen Universität erfahren. Hier sind sogar beide Schwerpunkte genannt:
https://www.studienbuero.erziehungswissenschaft.uni-mainz.de/bachelor-erziehungswissenschaft-po-2019/
Mein Schwerpunkt: Lebenslanges Lernen und Medienbildung
Auf der Uni-Seite werden sogar verschiedene mögliche Einsatzort für meinen Schwerpunkt aufgeführt. Hier eine Auswahl:
- Politische Erwachsenenbildung
- Betriebliche Aus- und Weiterbildung, überbetriebliche Weiterbildung
- Personal-/Organisationsentwicklung
- Bildungsberatung
- Medienpädagogische Einrichtungen, auch was den Kinder- und Jugendschutz betrifft
- TV-Sender, Verlage
- Forschung (klar, wäre jetzt seltsam, wenn nicht)
- Digitale Öffentlichkeitsarbeit
Ich finde es gerade lustig, dass nur „E-Learning“ dort steht. Genauer ist eigentlich, E-Learning-Konzepte erstellen und Erfolgskontrolle, so wie es bei der Produktion von Bildungsmedien der Fall ist. Ob die Erziehungswissenschaftler*innen diese wirklich erstellen, also zum Beispiel E-Learnings mit Articulate Storyline oder anderem produzieren, ist nochmal eine andere Sache.
Naaaaa, sieht das immer noch so sehr nach Erzieherin oder Sozialpädagogin aus?